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Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.
Hin und her, raus und wieder rein, hoch und runter, kreuz und quer – mal schnell oder langsam, mal mehr oder weniger gestresst – aber immer auf Achse, oftmals unter Druck – die seltenen Ruhephasen kaum genießbar…
Viele Menschen erleben den Alltag als Getriebene der Umstände und Verpflichtungen, aus denen es kein Entrinnen gibt: Eltern kutschieren ihre Kinder von A nach B, schauen, dass alle schön sauber und anständig daherkommen und gut in der Schule sind. – Arbeitnehmer müssen ihre Aufgaben erledigen, oft mit Termindruck und Konkurrenzgebahren der Kollegen. – Leute in Verantwortung geben sich Mühe, die Balance zwischen Effektivität und Menschlichkeit zu halten, zumindest hoffe ich das.
Mir geht das auch manchmal so oder so ähnlich. Das ein oder andere Mal habe ich mich schon bei einem Gebet ertappt: „Gott, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für ein Wunder!“ Und selbst wenn ich es dann erleben darf, wird selten der Druck insgesamt weggenommen, der Streßpegel steigt einfach wieder an, der Alltag reißt mich mit: Der Vater sorgt sich um die Familie, der Arbeiter müht sich um die Aufgaben, der Verantwortliche zerbricht sich den Kopf. Alle haben gemeinsam, dass sie vieles gleichzeitig jonglieren müssen, dabei noch nett aussehen und liebevoll mit ihren Mitmenschen umgehen. Die junge Generation sieht das und sagt: „Das werden wir alles anders machen!“ – Und die Alten haben gut reden: „Das hochtechnisierte Zeitalter hat Schuld daran!“ – Und die dazwischen keuchen: „Lass uns später darüber sprechen, ich habe grad keine Zeit!“
Zeit. Ein gutes Stichwort. Während die Zeit nämlich schnell und schneller dahinzufliegen scheint, kostet es einen Jeden von uns immer mehr Mühe, den einzelnen Moment abzupassen, der so einzigartig ist, dass kein Foto, kein Protokoll und keine Zeitlupe dieser Welt ihn einfangen kann: das Jetzt. Ein Anblick, ein Geruch, eine Berührung, ein Geräusch, ein Wort… kann nur JETZT erlebt werden; später kann ich mich bestenfalls daran erinnern. Aber der Moment, in dem ich es erlebt habe, bleibt einzigartig. In jenem Moment bin ich einfach nur ich selbst. Keine Rolle, die ich innehabe, keine Aufgabe, keine Verantwortung kann mir diesen Moment stehlen, wenn er sich ereignet. Die Zeit steht still. Der Fokus wird scharfgestellt. Die Seele ist bereit. – Durch die vielen Verpflichtungen und Umstände meines Lebens will ich instinktiv diesen Moment interpretieren: „Was bedeutet das für mich als Vater, als pflichtbewusster Mensch?“ Stimmen, die sich Gehör verschaffen, aber nur eine eingeschränkte Sicht auf das haben, was ich gerade erlebe.
Im 2. Samuel-Buch (Kapitel 7) betet der große König David zu Gott, seinem Herrn. Und obwohl die Zeiten anders waren, die Technik weniger ausgereift, der Stress auf einem anderen Niveau, hat David Worte gefunden, die aus seiner Situation ganz wunderbar bis in unsere Zeit hineinwirken können. – Nachdem er die 12 Stämme Israels geeint, die Hauptstadt Jerusalem gegründet, die Bundeslade dorthin geschafft und die Landesgrenzen erheblich erweitert hatte, hält er in einem ganz besonderen Moment inne und hört zuallererst auf Gott. Und dann betet er aus all seinen Rollen heraus, die er im Laufe seines stressigen Alltags innegehabt hat. Als Elternteil fragt er: „Wer bin ich, Gott, mein Herr, und was ist meine Familie, dass du mich so weit gebracht hast?“ (Vers 18. b) – Als Diener Gottes bekennt er: „Du kennst mich genau, Gott, mein Herr. Weil du es zugesagt hast und weil es dein Wille war, hast du all dies Große getan und es mich erkennen lassen.“ (Verse 20 – 21) – Und als Verantwortlicher fragt er: „Welches andere Volk, mein Gott, hast du aus der Sklaverei erlöst und zu deinem eigenen Volk erwählt?“ (Vers 23)
Wenn wir genau hinschauen und jeden einzelnen Moment der Worte Davids würdigen, können wir Erstaunliches von ihm lernen: Egal aus welcher Sicht David sein Leben betrachtet, es ist immer der gleiche Gott, der ihn dabei begleitet. Und ganz gleich, wie viel Verantwortung er zu tragen berufen ist, wird doch deutlich, dass Gott selbst es ist, der handelt. Und in selbstkritischer Betrachtung seines Lebens kann er gar nicht fassen, was dieser Gott, sein Herr, ihm alles geschenkt hat. Und mittendrin bringt er dann einen bemerkenswerten Satz heraus: „Es ist keiner wie du, und ist kein Gott außer dir.“ (Vers 22) Das ist ein heiliger Moment. Dieser Zeitpunkt ist genau der richtige. Nicht wegen der Uhrzeit, oder der Ruhe, oder wegen des erfüllten Lebens, auf das David zurückblicken darf, sondern, weil das „Du“ in seiner Gottesbeziehung im klarsten aller Lichter aufscheint. – Hier ist David nicht mehr ein Getriebener seiner Umstände, sondern hat sein Gegenüber erkannt. Nichts schiebt ihn irgendwo hin, sondern Gott selbst zieht ihn zu sich. Im Hören und Loben hat David Zugang zu diesem Moment gefunden. Und all seine unterschiedlichen Rollen haben ihren Platz darin gehabt.
Jetzt darf ich beruhigt in meinen stressigen Alltag zurück, getrost setze ich mir wieder alle Hüte auf, ob sie mir stehen oder nicht: Weil ich keinen besonderen Moment abpassen muss, weil mein geistliches Leben kein weiterer Punkt auf der täglichen Aufgaben-Liste sein muss, weil ich gar nichts beisteuern muss, um in jedem einzelnen Moment mein Gegenüber zu sehen. Denn ER sieht mich und zieht mich immer wieder zu sich. ER ist Gott und sonst keiner. Er ist kein Antreiber, sondern empfängt mich mit offenen Armen. Damit macht er mir etwas ganz Wichtiges vor: gerne empfangen. – Vom Wahnsinn des Alltags geschädigt bin ich nämlich eher misstrauisch und beäuge jedes Geschenk auf mögliche neue Verpflichtungen, Hüte und Rollen. Dabei übersehe ich jedoch, dass Gott mir vielleicht einfach nur diesen Moment schenken will: genau diesen „richtigen“ Zeitpunkt. Und wenn es mal wieder etwas ruhiger wird, freue ich mich trotzdem darüber.
Pastor Daniel Meisinger