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Wer im Dunkel lebt und wem kein Licht leuchtet, der vertraue auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott. (Jesaja 50:10)

Es ist schon genial organisiert, dass ein neues Kirchenjahr eingeläutet wird, rund einen Monat bevor das Kalenderjahr neue Ziffern erhält. Das vergewissert mich gerade rechtzeitig: Was auch immer die zwölf Monate 2020 bringen werden, an den Gnadenerweisen Gottes ändert sich nichts. Die großen Feste des Glaubens bleiben als Verheißungen bestehen, weil es seine Feste sind: Gott selbst kommt als Kind zur Welt (Weihnachten). Jesus Christus gibt sich zu unserer Erlösung hin (Karfreitag). Und weil der Tod noch nicht das Ende ist, schafft Gott in ihm neues Leben (Ostern). Sein Geist erfüllt uns (Pfingsten). – Gerade wenn die dunkle Jahreszeit mit aller Macht zuschlägt, schenkt dies eine neue Perspektive. Das Alte ist vergangen; siehe: Neues entsteht bereits (2. Korinther 5:17).

Dunkelheit ist nicht nur ein Naturphänomen, sondern auch die Realität, in der wir leben. Viele Fragen in Gesellschaft und Politik scheinen offen zu sein oder müssen wieder neu gestellt werden. Und unser persönliches „Schicksal“ setzt dem manchmal noch einen drauf. – Ich kann gut verstehen, wenn es dem ein oder anderen auf den Keks geht, dass dann auch noch in der Gemeinde (oder in diesem Artikel) von der Schwere des Lebens die Rede ist. Und nun setzt der Vers aus dem Buch Jesaja sogar noch einen drauf: In der düstersten aller Stimmungen, wenn kein Licht mehr leuchtet, soll es dennoch Hoffnung geben. Ist das überhaupt denkbar? Diese Frage ist vom Gebet Jesu am Kreuz geprägt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Zitat aus Psalm 22) Aber hat Gott wirklich die ganze Schuld der Welt auf seinen Sohn gelegt, um sich dann von ihm abzuwenden? Ist es ihm doch zu viel geworden? – Es lohnt sich an dieser Stelle, den ganzen Psalm zu lesen, an den Jesus in dieser Stunde gedacht haben mag … Und sicher: Das Leid und die Sünde der ganzen Welt auf einmal zu tragen, fühlt sich bestimmt nach Gottverlassenheit an. Jedes Mal, wenn meine eigenen „kleinen“ Sünden aufs Gewissen drücken und dem Zweifel an Gottes Erbarmen Tür und Tor öffnen, kriege ich eine Ahnung davon: Wie kann Gott mir noch nahe sein?

Natürlich ist da das Evangelium, dessen wir uns regelmäßig vergewissern: Du bist geliebt. Jesus hat das Kreuz auch für dich getragen. Gott vergibt deine Schuld. Ich habe gelernt, diesen Worten zu glauben. Gemeinde und vertrauensvolle Beziehungen waren und sind gute Möglichkeiten – ich will sogar sagen: notwendige Instanzen –, um die Botschaft Jesu Christi immer wieder zu erfahren. Manchmal empfiehlt sich intensive Seelsorge, um auf der Spur zu bleiben; zumindest habe ich das als hilfreich erlebt. So kann die Dämmerung zwischen Dunkelheit und Licht einigermaßen gelassen durchschritten werden, und ich bekomme eine Orientierung oder wenigstens eine Hand, die mich hält.

Aber was, wenn alles wegbricht? Wenn mir ganz und gar der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Wenn Sätze wie: „Gott hilft; er schickt Rettung zur rechten Zeit“ wenig ausrichten, weil die aktuelle Erfahrung eine andere ist. Obwohl wir von den Zeugnissen unserer Glaubensgeschwister und den Erfahrungen der Psalmbeter hören: Gott greift tatsächlich ein; manchmal sieht man erst später, was er für einen Plan damit hatte … im Moment der Dunkelheit hilft mir diese Art Zuspruch meistens wenig. Ich möchte nämlich nicht vertröstet, sondern getröstet werden.

Jesaja lädt mich ein, den Glauben trotzdem nicht aufzugeben. Obwohl alles dagegen spricht, oder gerade weil alles dagegen spricht, kann ich mich an Gott hängen und wenigstens seinem Namen vertrauen. Um diesen Namen wird im 2. Mose 3:14 regelrecht ein Geheimnis gemacht. Im Judentum wird bis heute der Gottesnamen JHWH nicht ausgesprochen und aus lauter Ehrfurcht durch HERR ersetzt. Alle möglichen Übersetzungsversuche des Gottesnamens überspringe ich an dieser Stelle, denn im Wesentlichen lässt es sich darauf reduzieren: „Ich bin da.“ – Gott sagt nur dieses Eine über sich selbst aus: dass er da ist. Damals bei Mose in einem brennenden Dornbusch, der nicht verbrannte. Heute im glänzenden Licht der Zeugnisse von erfüllten Verheißungen und spürbarem Segen. Aber eben auch im Dunkel und in der Schwere des Lebens. Er ist da, mittendrin; er ist überall dabei – das war schon immer so und wird auch so bleiben.

Wenn die Anzeichen manchmal auch nicht sichtbar sind, dass Gott wirkt, weil im Zwielicht unseres Erlebens nicht ganz klar ist, was wir eigentlich glauben oder tun sollen, dann steht der Name Gottes doch felsenfest da. Er hält den Zweifel und die Furcht aus; es ist ihm nicht zu viel. Er wendet sich niemals von mir ab, ganz gleich, wie wenig ich auch von mir selber halten mag. Und dafür bürgt er mit seinem eigenen Namen: Ich bin da. Und mit Vers 23 ermutigt uns der bereits erwähnte Psalm 22, diesen Namen unter uns Glaubens-Geschwistern wach zu halten, darüber zu sprechen, wo Gott für dich und mich da ist und ihn in der Gemeinde dafür zu loben und zu ehren. Lasst uns mit reichlich Jubel über diesen Namen in das neue Kirchenjahr starten! Weihnachten ist der denkbar beste Anlass dazu: das Fest seines Daseins in der Welt, in deinem und meinem Leben.

Herzliche Grüße von

Pastor Daniel Meisinger